Blog 0061 - „Vaterunser“ neu - RA Dr. Roman Schiessler

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Blog 0061 - „Vaterunser“ neu

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„Vaterunser“ neu
 
Wie in den Medien kolportiert, hat der Papst das sogenannte „Vaterunser“ mit einer neuen Textzeile versehen. Anstatt „ und führe uns nicht in Versuchung“, heißt es nun „überlaß uns nicht der Versuchung“.

Diese Übersetzung soll laut dem Vatikan näher dem griechischen Original sein und auch zu einem bewußteren Beten anleiten.
 
Inhaltlich wird argumentiert, daß Gott - wer immer das auch ist - keine Fallen stellt. Auch ist es nicht Gott, sondern der Satan, der den Menschen in Versuchung führt. Ein Vater macht so etwas nicht, sondern dieser hilft, wieder aufzustehen (www.kurier.at).
 
Dazu ist allgemein zu sagen, daß es immer wieder interessant ist zu beobachten, welche Prioritäten seitens der katholischen Kirche gesetzt werden. In Anbetracht der Mißbrauchsskandale befaßt man sich mit der Textierung von Gebeten und deren damit scheinbar verbundenen tieferen oder weniger tieferen Änderung der spirituellen Bedeutung. Auch vom Satan ist die Rede, vergißt aber dabei auf die Selbstreflexion. Generell kommt bei spirituellen Betrachtungen die Selbstkritik in der katholischen Kirche in der Regel immer zu kurz. Wichtig sind jedenfalls die Gebete und deren sprachliche, somit oberflächliche Ausgestaltung und Reformierung.
 
Wenn man sich aber schon mit der Versuchung befaßt, sollte man sich daher auch und vor allem mit der eignen befassen und nicht so tun, als ob die Versuchung ein Problem von völlig anderen Menschen wäre. Jeder Mißbrauchsgeschädigte kann davon ein Lied singen.
 
In diesem Sinne wäre in authentischere Version des „Vaterunser“ äußerst angebracht. Ein “Vaterunser“, welches sich mit den Verhaltensweisen der Kleriker selbst auseinandersetzt und diese Verhaltensweisen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und nicht so tut, als würde man über den Dingen - der Versuchung - stehen. Eine Version, welche aus der Sicht eines Mißbrauchsgeschädigten geschrieben und formuliert ist und sich nicht an irgendwelchen religiösen Idealvorstellungen orientiert, welche, vor allem in der katholischen Kirche selbst, ohnehin jenseits jeder Realität sind.
 
In diesem Sinne wäre beispielsweise die Textzeile des Vaterunser, welche da lautet „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ umzuändern in „Unseren täglichen Minderjährigen gib‘ uns heute.“
 
In Anbetracht eines Strafverfahrens in Frankreich, konkret in Lyon, wäre dies durchaus angebracht. Ein lokaler Kleriker, Bernard Preynat, hat dort über eine gewisse Zeit hindurch praktisch täglich ein Kind mißbraucht, wie die Präsidentin des zuständigen Gerichts völlig fassungslos feststellte (www.heute.at).
 
Es ist jedenfalls davon auszugehen, daß eine Textierung des „Vaterunser“ dieser Art aus der Sicht eines Mißbrauchsgeschädigten die Realität in der katholischen Kirche weit besser zur Darstellung bringt, als die semantischen Retuschen des Vatikans. Es wäre höchst an der Zeit, daß sich dieser klerikale Verein den tatsächlichen, internen Problemen stellt und hier vor allem diesen, welche man selbst geschaffen hat. Kosmetische Änderungen liturgischer Natur sind da nicht von Bedeutung und völlig unangebracht.
 
Wien, am 01.02.2020
RA Dr. Roman Schiessler
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