Blog 0002 - Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht - RA Dr. Roman Schiessler

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Blog 0002 - Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht

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Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht

Dieser Tage erleben wir einen militärischen Konflikt mitten in Europa, welcher massives Eskalationspotential in sich birgt. Es ist daher an der Zeit, sich mit den völkerrechtlichen Grundlagen zu befassen, welche hier zur Anwendung gelangen und das Vorgehen der Konfliktparteien gemäß völkerrechtlich zu analysieren.

Bei völkerrechtlichen Fragen ist es stets erforderlich, die relevanten Rechtsgrundlagen gleichsam aus verschiedenen Rechtsquellen herauszuarbeiten, da es ein Völkerrechtsgesetzbuch nicht gibt. Die relevanten Rechtsquellen ergeben sich dabei aus Art 38 IGH Statut (Satzung des internationalen Gerichtshofes in Den Haag).
 
Zitat:

  1. Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach Völkerrecht zu entscheiden, wendet an
    1. die internationalen Übereinkünfte, allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Parteien ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt worden sind;
    2. das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;
    3. die allgemeinen, von den Kulturstaaten anerkannten Rechtsgrundsätze;
    4. unter Vorbehalt der Bestimmung des Artikels 59, die gerichtlichen Entscheide und die Lehren der anerkanntesten Autoren der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtsnormen.
  2. Durch diese Bestimmung wird die Befugnis des Gerichtshofs, mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono zu entscheiden, nicht beeinträchtigt.
 
Die in dieser Bestimmung abschließend aufgezählten Rechtsquellen des vom internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuwenden Rechts bilden somit den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen völkerrechtliche Streitfälle zu entscheiden sind.
 
Wesentlich ist dabei das Gewaltverbot, das in der Satzung der Vereinten Nationen gemäß Art 2 Abs. 4 der Satzung der VN, festgelegt ist. Diese ist zweifellos eine Rechtsquelle gemäß Art 38 Abs. 1 lit a IGH Statut.
 
Zitat: Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
 
Aus diesem in der Satzung der VN festgelegten Gewaltverbot ergibt sich ein Mischtatbestand, welcher die Androhung und die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen verbietet.
 
Weiters von Relevanz ist die Aussage des damaligen deutschen Außenministers Hans Dietrich Genscher, der in Anwesenheit des seinerzeitigen US-Außenminister James Baker in Washington am 02.02.1990 bei den 2+4 Gesprächen in Bezug auf die NATO und deren mögliche und offenbar bereits in Rede stehenden Erweiterung des Verteidigungsgebietes in Richtung Osten folgendes ausdrücklich öffentlich festhielt:
 
Zitat: Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten, das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.
 
Dieser deutsche Politiker, der jedenfalls aufgrund seiner Persönlichkeit damals eine überragende Stellung im internationalen Geschehen und der Diplomatie genoß, berichtete offenbar von einer Vereinbarung im Rahmen dieser 2+4 Gespräche, welche vorsah, die NATO nicht in Richtung Osten, somit in Richtung Russland, zu erweitern.
 
Es kam somit zu einem Vertrag, einer Vereinbarung unter den Teilnehmern der 2+4 Gespräche (arg: "Wir waren uns einig, daß....') und es lag nicht bloß eine einseitige Erklärung eines Politikers vor; dies unter Einbeziehung Russlands. Im Sinne des IGH Statuts bedeutet dies, daß hier ebenfalls eine relevante Rechtsquelle gemäß Art 38 Abs. 1 lit a dieser Bestimmung vorliegt.
 
Ferner bedeutet dies, daß sämtliche, entgegen dieser Bestimmung geschlossenen Beitrittsverträge, somit die gesamte NATO-Osterweiterung null und nichtig sind. Rechtlich existiert die NATO-Osterweiterung also nicht.
 
Verträge, welche entgegen geltendem Recht geschlossen werden bzw. geschlossen worden sind, haben keine Bestandskraft. Diese an sich nicht schwer zu verstehenden Tatsache ist aber der entscheidende Gedanke bei einer rechtlichen Betrachtung der gesamten NATO-Osterweiterung. Die NATO hätte aufgrund der am 02.02.1990 in Washington getroffenen Vereinbarung unter Einbeziehung Russlands die Beitrittsanträge der ehemaligen Ostblockstaaten weder annehmen noch intern ratifizieren dürfen. Es liegt daher eine klare Verletzung internationalen Rechts vor.
 
Dies bedeutet aber auch, daß Russland und Wladimir Putin bei all dem, was sie derzeit tun bzw. getan haben, eindeutig im Recht sind, und ferner daß kein verbotener Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine vorliegt.
 
Die gesamte NATO-Osterweiterung wird seitens der russischen Föderation jedenfalls als Bedrohung im Sinn des Gewaltverbotes der Satzung der VN gesehen werden und berechtigt diese natürlich dazu, dagegen militärische Maßnahmen zu ergreifen. Ferner ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß die Weltgemeinschaft in überwiegender Mehrheit dies genauso sieht.
 
Hinzu kommt die massive Aufrüstung der Ukraine, insbesondere durch die USA und die Ausbildung der ukrainischen Armee ebenfalls durch die USA und zwar seit den Maidan-Geschehnissen (Euromaidan) von 2014.
 
Es fanden umfassende militärische Aktivitäten gleichsam vor der Haustüre Russlands statt, welche durchaus geeignet sind, die Sicherheitsinteressen der russischen Föderation massiv zu bedrohen, zumal diese Bedrohung von einem durchaus potenten Militärbündnis ausging und nach wie vor ausgeht, welches in der Vergangenheit durch eine Reihe von völkerrechtlich illegalen Militäraktionen aufgefallen ist. Man denke hier nur an die militärischen Interventionen im Irak, Libyen, Syrien und auch Serbien.
 
Entscheidend bei diesen Betrachtungen ist es, immer im Auge zu behalten, daß das Gewaltverbot der VN nicht nur die Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen der Staaten inkriminiert, sondern auch bereits das Androhen von Gewalt. So gesehen ist die völkerrechtswidrige NATO-Osterweiterung in Richtung Russland und die damit verbundene Einkesselung Russlands durch dieses Militärbündnis eine Rechtfertigung für ein militärischen Einschreiten.
 
Die fortlaufende massive Diskriminierung der russischstämmigen Bevölkerung, das Unterdrücken der russischen Sprache, das Beschießen von russischem Siedlungsraum etc. sei hier nur am Rande erwähnt, ist aber natürlich von Relevanz.
 
Tatsache ist, daß es bei den 2+4 Gesprächen in Wahrheit nicht um Deutschland und dessen Wiedervereinigung ging, sondern bereits um Russland und die NATO-Osterweiterung, welche offensichtlich bereits auf der weltpolitischen Agenda stand. Man sah ein geschwächtes Russland, eine zerfallende Sowjetunion, und glaubte in Sachen Bodenschätze Kasse machen zu können bzw. strebten die USA die hegemoniale Position in der Welt an. Jedenfalls ist davon auszugehen, daß die NATO-Osterweiterung durch die relevanten Strategen im sogenannten Westen bereits eine beschlossene Sache war und somit in völkerrechtlicher Hinsicht der Vertrags- bzw. Rechtsbruch.
 
Gössendorf, am 26.09.2022
RA Dr. Roman Schiessler
 
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