Blog 0004 - Der Ukrainekonflikt und die österreichische Neutralität - RA Dr. Roman Schiessler

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Blog 0004 - Der Ukrainekonflikt und die österreichische Neutralität

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Der Ukrainekonflikt und die österreichische Neutralität

Gemäß Bundesverfassungsgesetz vom 26.10.1955 ist die Neutralität Österreichs verfassungsrechtlich verankert. Die innerstaatliche Regelung sieht folgendes vor:

Artikel I.
 
  1. Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
  2. Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.
 
Artikel II.
 
Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.
 
Völkerrechtlich ist die immerwährende Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz durch das Moskauer Memorandum vom 15.04.1955 verankert. In der Folge wurde dieser Status von der Staatengemeinschaft auch völkerrechtlich anerkannt.
 
Der Gesetzestext ist relativ kurz und enthält nur zwei Gebote im Sinne der Neutralität, nämlich dass Österreich keinem Militärbündnis angehören und keine militärischen Stützpunkte auf österreichischem Boden zulassen darf. Die österreichische Neutralität ist somit ausschließlich militärisch ausgerichtet. Politische Vorgaben sind mit diesem Bundesverfassungsgesetz selbst nicht verbunden.
 
Diese Bündnis- und Stützpunktfreiheit wird derzeit eingehalten. Die seit 1994 bestehende Mitgliedschaft bei der NATO-Partnerschaft für den Frieden ist allerdings kritisch zu sehen, denn heutzutage haben die im Neutralitätsgesetz genannten militärischen Verpflichtungen kaum noch Bedeutung. Stützpunkte auf österreichischem Boden sind militärisch so gut wie sinnlos und auch das Gebot der Bündnisfreiheit spielt eine untergeordnete Rolle.
 
Was militärisch bedeutsam ist, sind Waffentransporte durch Österreich in Kriegsgebiete. Die Donau von Rotterdam bis zum Schwarzen Meer ist ein beliebter und weidlich genutzter Transportweg, der von der Bevölkerung, anders als die Transporte auf dem Landweg, kaum wahrgenommen wird.
 
Daraus ist abzuleiten, dass die Neutralität, so wie sie derzeit definiert ist, militärisch völlig zahnlos ist. Kritisiert werden die fortlaufenden Militärtransporte durch Österreich, die fälschlicherweise als Neutralitätsverletzung dargestellt werden. Dies ist rechtlich unzutreffend, selbst wenn das Transportziel in einem Kriegsgebiet liegt.
 
Somit erhebt sich die dringende Forderung zur Erweiterung des Neutralitätsgesetzes um ein generelles Durchfuhrverbot von Waffen von Drittstaaten durch das Bundesgebiet. Die Regelung über die Durchfuhr von Kriegsmaterial selbst, ist im Kriegsmaterialgesetzt geregelt. Die Durchfuhr bedarf der Zustimmung des Innen- und des Außenministers, der Verteidigungsminister muss lediglich gehört werden. Laut dem Gesetz soll kein Transport in kriegführende Länder genehmigt werden.

Diese Tatsachen wirken sich im internationalen politischen Geschehen negativ auf den Neutralitätsstatus aus. Wenn man bedenkt, dass sich die NATO-Staaten bezüglich ihrer Sichtweise auf den Ukrainekonflikt global gesehen in der Minderheit befinden, so besteht die Gefahr, dass die Neutralität an Bedeutung oder gar gänzlich ihre völkerrechtliche Wirksamkeit verliert.
 
Da in der österreichischen Bevölkerung die Neutralität sehr geschätzt wird, stellen u.a. die Waffentransporte unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten ein veritables Problem, nämlich die Missachtung des Wählerwillens dar. Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird, verkommt Österreich wahrscheinlich zu einem Vasallenstaat ohne die Möglichkeit einer eigenständigen Politik.
 
Auch ist nicht davon auszugehen, dass man es in Österreich gern sieht, wenn sich österreichische Wehrpflichtige beispielsweise in NATO-Einsätzen wiederfinden um irgendwelche geopolitischen Ambitionen von Großmächten zu unterstützen. Solche Einsätze werden sich dann kaum vermeiden lassen. Da wird es auch nichts nützen, dass nur Freiwillige herangezogen werden, vor allem dann nicht, wenn die ersten nicht wieder lebendig zurückkehren. Es mag Einzelne geben, die einen lukrativen Posten in internationalen Militärbündnissen auf Kosten Österreichs für erstrebenswert halten. Zu welchem Preis wird da aber nicht diskutiert, solange die eigene Rechnung stimmt.
 
Der Ukrainekonflikt ist somit eine Art Nagelprobe für die österreichische Politik im Sinne des verfassungsrechtlich festgelegten und somit vorgegeben Neutralitätsstatus. Man kann nur hoffen, daß diese (unsere) Neutralität innerstaatlich und völkerrechtlich diesen Konflikt überlebt.
 
Gössendorf, am 25.04.2023
RA Dr. Roman Schiessler
 
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