Blog 0013 - Der Bescheid als Grundlage des Rechtsstaats - RA Dr. Roman Schiessler

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Blog 0013 - Der Bescheid als Grundlage des Rechtsstaats

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Der Bescheid als Grundlage des Rechtsstaats

Der Rechtsstaat beruht auf dem Gedanken, daß die Vollziehung (Exekutive) des Staates aufgrund der Gesetze zu erfolgen hat und somit Willkür weder geübt wird noch geübt werden kann.

Verfassungsrechtlich kommt das in unserem Rechtssystem durch Artikel 18 B-VG zum Ausdruck, welcher vorschreibt, daß die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden kann und darf.
 
Der Rechtsstaat ist somit ein Gesetzesstaat, in welchem durch die Exekutive Gesetze vollzogen werden. Der Polizeistaat ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass z.B. die Meinung eines Politikers oder einer Regierung vollzogen wird, somit der Exekutive an sich.
 
Es kann somit nicht sein, daß derjenige, der die Regeln macht, auch für die Vollziehung selbiger zuständig ist. All dies hängt stark mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zusammen, welches ebenfalls eine Gesellschaft in unserem Sinne trägt und prägt. Dieses Prinzip sorgt für eine sachgerechte Aufteilung der Befugnisse in einem Staat und somit für eine Machtverteilung, welche Übergriffe in einem Gemeinwesen verhindern soll und somit einen effektiven Schutz der Minderheit gegenüber einer Mehrheitsmeinung.
 
Primäre Aufgabe des Staates, insbesondere die Exekutive, ist es, daß dieser gegenüber der Bevölkerung aufgrund von konkreten, individuellen Rechtsakten (Hoheitsakten) handelt und auftritt. Diese Rechtsakte haben sich als solche auf die Gesetze zu beziehen und können im Rahmen des verfassungsrechtlich vorgesehen Rechtsschutzes auf Übereinstimmung mit den von der Legislative erlassenen Gesetzen überprüft werden. So gesehen ist der individuelle Rechtsakt die Grundlage für das verfassungsrechtlich vorgesehene Rechtsschutzsystem. Ohne individuelle Rechtsakte würde der Rechtsstaat selbst zum Erliegen kommen.
 
Diese individuellen Rechtstakte werden im Rahmen der Verwaltung (Exekutive) als Bescheide bezeichnet und im Rahmen der Judikative als Urteile oder auch als Beschlüsse. Maßnahmen unmittelbarer staatlicher Gewalt – verfahrensfreie Verwaltungsakte - bleiben hier außer Betracht.
 
Im gegebenen Zusammenhang werden wir uns hier auf den Bescheid beschränken, welchem dieser Tage eine besondere Bedeutung zukommt, da sich die Verwaltung - dies kann bereits jetzt vorweggenommen werden - Verhaltensweisen herausnimmt, welche durch nichts zu rechtfertigen sind.
 
Der Bescheid als individueller Rechtsakt ist im AVG, dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz und hier in den §§ 58 ff AVG geregelt. Im Wesentlichen gilt folgendes:
 
Jeder Bescheid ist grundsätzlich als solcher zu bezeichnen und hat einen Spruch und eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Bescheide sind zu begründen, insbesondere dann, wenn in die Rechtsphäre eines Staatsbürgers eingegriffen wird und hat das Datum, die erlassende Behörde und den Namen des Genehmigenden zu bezeichnen bzw. anzuführen.
 
In der Begründung sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. (§ 60 AVG)
 
Wichtig ist auch, daß der Bescheid, und zwar ausnahmslos, eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten hat. (§ 61 AVG) Dies ist nichts anderes als der Hinweis auf das in der Verfassung vorgesehen Rechtsschutzsystem, für welches der Bescheid, wie gesagt, die Grundlage bildet.
 
Bescheide können schriftlich und auch mündlich erlassen werden, wobei mündliche Bescheide nach einer Verhandlung zu protokollieren sind.
 
Dieser kurze Auszug aus dem AVG soll zeigen, daß ein Bescheid ein rechtlich definiertes behördliches Handeln darstellt und die Behörde hier an Vorschriften und Spielregeln gebunden ist. Dies ist nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen Überlegungen zwingend geboten und ist nicht Ausdruck eines sinnlosen juristischen Formalismus, welchen man dann und wann auch ignorieren kann. Der Bürger muß erkennen, daß der Staat auf diese Weise und auch nur auf diese Weise ihm gegenüber zu handeln berechtigt ist.
 
Angemerkt werden muß aber in diesem Zusammenhang, daß nicht alle Bescheidmerkmale von gleicher Bedeutung sind. Auch das Fehlen von Bescheidmerkmalen läßt im Einzelfall einen behördlichen Akt als Bescheid entstehen und daher für den Bürger verbindlich.
 
So ist es nicht unbedingt erforderlich, daß der jeweilige Rechtsakt auch als Bescheid bezeichnet wird. Ein Bescheid kann somit natürlich auch formelle und inhaltliche Fehler haben und ist trotzdem nicht als Nichtakt zu sehen.
 
In der Judikatur wird daher auch jedes hoheitliche und autoritative Auftreten einer Behörde als „Bescheid“ angesehen und als Grundlage für ein Rechtsmittel betrachtet. Dieser Rechtsprechung liegt somit ein Rechtschutzgedanke zugrunde um dem Bürger auch bei noch so mangelhaften Bescheiden ein Rechtsmittel zu ermöglichen. Es soll verhindert werden, daß rechtswidriges Behördenverhalten sich im Rechtsleben durchsetzt und die Kontrolle der Rechtsmittelinstanzen und schlußendlich auch der Gerichte des öffentlichen Rechts (Verwaltungsgerichte, Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof) ausgeschaltet wird.
 
Daß diese Fragen für den Laien oft schwierig zu beantworten sind, ist klar. Deswegen ist zumeist anwaltliche Beratung erforderlich, und im Fall des Falles sind die Rechtsmittelinstanzen berufen, diese Fehler auszumerzen.
 
Bedenklich wird es aber dann, wenn beispielsweise Behörden Staatsbürger dieser Tage mit Telephonanrufen behelligen, in welche ihnen beispielsweise PCR-Testtermine, insbesondere beim Roten Kreuz, mitgeteilt werden, da hier offenbar ganz bewußt die gesetzlichen Vorgaben keine Beachtung finden und auf die Unwissenheit der Bürger gesetzt und Untertanenverhalten eingefordert wird. Daß solche Terminbekanntgaben keine Bescheide sind ist evident, diese können uns sollen daher getrost ignoriert werden. Hier ist nicht von einem Bescheid, von einem hoheitlichen und autoritativen Auftreten einer Behörde die Rede, es ist skandalöserweise von einem durch den Staat organisierten Amtsmißbrauch auszugehen, da der fehlerhafte Bescheid zu einem standardisierten Vorgehen der Behörde geworden ist. In diesem Falle sollte unbedingt auf die Ausfertigung eines schriftlichen Bescheids gepocht werden, also auf einen Rechtstakt, welcher die oben beschriebenen Merkmale enthält.
 
Auch Schreiben mancher Landespolitikerin, als Information getarnt, können ebenfalls ignoriert werden, da evidentermaßen kein Bescheid vorliegt.
 
Geradezu absurd ist es daher, eine Bestimmung wie § 46 Epidemiegesetz zu erlassen, in welcher auch ein telephonischer Bescheid im Rahmen der sogenannten COVID-19 - Pandemie als zulässig erklärt wird. Dieser wäre als eine Form des mündlichen Bescheids schon aufgrund der allgemeinen Bestimmungen ohnehin zulässig gewesen. Bloße telephonische Terminvergaben erfüllen nicht die Anforderungen an einen Hoheitsakt, an einen Bescheid gemäß AVG und sind daher unbeachtlich.
 
Allgemein ist zu beobachten, daß Behörden dieser Tage geradezu darauf bedacht sind zu vermeiden, Bescheide zu erlassen. Der Sinn dieser Vorgansweise liegt darin, den bereits oben angeführten verfassungsrechtlich vorgesehen Rechtsschutz auszuschalten und schlußendlich auch die Höchstgerichte. Hier soll vor allem der VfGH in seiner Funktion als Sonderverwaltungsgerichtshof gleichsam kaltgestellt werden (vgl. Art. 144 B-VG), denn hier gilt es, die Anwendung und Durchsetzung der Grundrechte zu verunmöglichen.
 
Abschließend erwähnt werden muß noch die Wirkung von Rechtsmitteln auf den bekämpften Bescheid selbst. Grundsätzlich haben Rechtsmittel eine aufschiebende Wirkung, der Bescheid entfaltet daher noch keine rechtliche Wirksamkeit, wenn ein Rechtsmittel erhoben wird. Der Sinn diese Regelung liegt darin, daß die in der Folge ergehende Rechtsmittelentscheidung nichts an Effektivität verliert und quasi vollendete Tatsachen geschaffen werden.
 
Die aufschiebende Wirkung kann aber von der Behörde im Bescheid selbst, also in der angefochtenen Entscheidung, ausgeschlossen werden. Dies gilt auch bei Beschwerden gegenüber den Verwaltungsgerichten. Bei dem Rechtsmittel der Vorstellung gegen sogenannte Mandatsbescheide (§ 57 AVG) besteht sie im Übrigen überhaupt nur eingeschränkt. Dies kommt vor allem bei Quarantänebescheiden zum Tragen, welche als Mandatsbescheide (Copy-Paste-Bescheide) erlassen werden.
 
Zusammenfassend formuliert soll der Bürger verstehen, daß der Bescheid als individuell-konkreter Hoheitsakt der Anknüpfungspunkt für das staatlich – verfassungsrechtlich - vorgesehene Rechtsschutzsystem und daher von eminenter Bedeutung ist. Ohne Bescheid gibt es keinen Rechtsschutz. Dieses Prinzip wird von den Behörden dieser Tage fortlaufend und systematisch unterwandert.
 
Es ist Aufgabe des jeweiligen Bürgers und vor allem von Anwälten, bei Übergriffen des Staats und der Behörden konsequent und in jedem Einzelfall auf diesen Umstand hinzuweisen und einen schriftlichen Bescheid einzufordern. Dieser ist bzw. wäre dann auch zu erlassen. Die Zustellung kann auch per E-Mail erfolgen.
 
Nur so kann das Verbreiten eines Untertanentum im Staat und ein Erodieren des Rechtsstaats insgesamt effektiv verhindert werden.
 
Wien, am 28.10.2020
RA Dr. Roman Schiessler
 
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