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Die unterschiedlichen Gesichtspunkte des Ukrainekonflikts
Dieser militärische Konflikt oder diese Spezialoperation, wie er bzw. sie von der russischen Föderation bezeichnet wird, zeichnet sich durch eine Reihe von unterschiedlichen Aspekten aus, welche sich aus den verschiedenen Ausgangspositionen, Interessenslagen, aber auch internen Vorgängen der einzelnen Länder oder Organisationen ergeben. Exemplarisch ist von folgenden Gesichtspunkten auszugehen:
- der völkerrechtliche Aspekt: dieser wurde bereits in einem eigenen Aufsatz dargestellt. (Siehe: Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht)
- der russische Aspekt: aus militärischer Sicht ergibt sich für die russische Seite insofern eine Sondersituation, da es sich bei der Bevölkerung in der Ukraine zum Gutteil um ethnische Russen handelt. Auch die russische Sprache selbst ist ein Thema, da nicht nur ethnische Russen, sondern auch ein beträchtlicher Anteil der (Ost)ukrainer, russisch sprechen. Aus militärischer Sicht ergibt sich die Notwendigkeit, für die russische Föderation einen Ausgleich dahingehend zu finden, den Konflikt militärisch erfolgreich zu gestalten, die Gesellschaft und die Wirtschaft aber zu schonen. So wird kritisiert, daß Russland nicht in dem Tempo militärisch vorankommt, wie es zu erwarten wäre. Dies würde aber voraussetzen, daß der durch ein Aufbieten größerer militärischer Kräfte bewirkte Aufwand die Wirtschaft zu sehr belasten würde. Da dies aber nicht passieren darf, da ansonsten ein Zusammenbruch derselben zu befürchten wäre, geht man mittels einer kleinen Teilmobilisierungen vor und setzt so auf einen Abnützungskonflikt, bei dem man mit größter Wahrscheinlichkeit als Sieger hervorgehen wird, ohne aber einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu riskieren. Das Beenden des militärischen Konflikts auf schnelle Art, beispielsweise durch einen Donbasskessel, ist mit dieser Taktik aber nicht möglich.
- der amerikanische Aspekt: dieser liegt zum einen in dem geopolitischen Interesse, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen, insbesondere Deutschland zu verhindern und zum anderem in einem innenpolitischen. Der erste Gesichtspunkt liegt klar auf der Hand und ist historisch bereits eindeutig belegt. Vielfach werden die beiden Weltkriege diesem geopolitischen Interesse zugeschrieben. Allein die ständige, grundlose Wiederholung der Verwicklung Russlands in einen Krieg mit Deutschland und umgekehrt, spricht für diese These. Der zweite Aspekt liegt in der Innenpolitik der USA, da die Menschen immer mehr unter den sozialen Problemen leiden, welche durch die gigantischen Militärausgaben der USA bewirkt werden und Investitionen im Inneren des Landes verhindern. Sichtbares Beispiel ist die marode Infrastruktur des Landes, die sich unter anderem darin manifestiert, dass aufgrund des desolaten Schienennetzes jährlich über 1000 Züge entgleisen, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen. Wesentlich dabei zu erwähnen ist, daß die US-Präsidentenwahl immer durch die Innenpolitik des Landes entschieden wird. Die Außenpolitik spielt hierbei eine geringere Rolle.
- der österreichische Aspekt: dieser ist geprägt vom neutralen Status der Republik Österreich, welche in dem im Verfassungsrang stehenden Neutralitätsgesetz vom 26.10.1955 zum Ausdruck kommt. Diese Neutralität ist innerstaatlich und völkerrechtlich definiert durch die militärische Bündnisfreiheit und dem Verbot von militärischen Stützpunkten auf dem eigenen Staatsgebiet. Es muß aber zur Kenntnis genommen werden, daß über und durch das Staatsgebiet der Republik Österreich, hauptsächlich über die Donau, fortwährend Waffen von Drittstaaten transportiert werden, welche dazu bestimmt sind, in dem hier gegenständlichen militärischen Konflikt eingesetzt zu werden. Die Donau ist Teil eines europäischen Wasserwegenetzes, das von Rotterdam bis zum Donaudelta am Schwarzen Meer reicht. Ein besserer Transportweg in die Ukraine ist kaum vorstellbar. Formal wird dadurch das Neutralitätsgesetz nicht verletzt, da ja dadurch weder Stützpunkte begründet werden noch ein militärisches Bündnis eingegangen wird. Die Glaubhaftigkeit der Neutralität in völkerrechtlicher Hinsicht wird aber durch diese Waffentransporte politisch massiv untergraben. Es ist somit dringend erforderlich, die Neutralität um einen dritten Punkt zu erweitern, nämlich einem Durchfuhrverbot von Waffen von Drittstaaten durch das Staatsgebiet. Dieses Verbot wäre auch auf verfassungsrechtlicher Ebene im Neutralitätsgesetz zu verankern. Ebenfalls sollte die Neutralität zum Verfassungsprinzip erhoben werden.
- der NATO Aspekt: es fällt auf, daß insbesondere im Vergleich zu Russland, die zu erwartende militärische Stärke offenbar nicht besteht. Ausgehend von einem Militärbudget der gesamten NATO in der Höhe von US-Dollar 1,2 - 1,3 Billionen und einem Militärbudget der russischen Föderation in der Größenordnung von US-Dollar 70 Milliarden, wäre zu erwarten, daß eine entsprechende militärische Überlegenheit der NATO bzw. deren Mitgliedsstaaten zum Ausdruck kommt. Dies ist aber mitnichten der Fall, im Gegenteil. Es darf gefragt werden, wohin dieses exorbitante Budgetvolumen der NATO eigentlich fließt. Es besteht der dringende Verdacht auf Korruption, Geldwäsche u.ä. Wenn man das derzeitige Chaos bei den intendierten Panzerlieferungen betrachtet, erkennt man, daß es diese Kampfpanzer offensichtlich nicht in der angegebenen Anzahl gibt. Auch Ersatzteile sind nicht vorhanden, was den Einsatz dieses Geräts so gut wie verunmöglicht. Das Geld fließt ganz offensichtlich nicht in die militärische Rüstung.
- der politische Aspekt: Wir sind in der westlichen Diskussion immer mit der Forderung konfrontiert, daß die territoriale Integrität der Ukraine erhalten bleiben bzw. wieder hergestellt muß. Sichtbarster Ausdruck dieser Forderung ist die Nichtanerkennung der Referenden vom 23.-27.9.2022 über den Beitritt der Volksrepubliken Lugansk und Donezk sowie der Gebiete Saporoschje und Cherson zur russischen Föderation. Unabhängig davon wie man zu diesen Referenden steht, kann es nicht angehen, daß die ortsansässige Bevölkerung von der Mitbestimmung über die staatliche Zugehörigkeit ihrer Region, ihres unmittelbaren Lebensbereiches, ausgeschlossen wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker scheint im Westen immer nur dort von Relevanz zu sein, wo es mit dem eigenen politischen Konzept konform geht. Anzumerken ist hier, daß die Ukraine selbst aufgrund eines Referendums vom 01.12.1991 mit einer Zustimmung von über 90 % aus der Sowjetunion ausgetreten ist. Dieser völkerrechtlich korrekte Vorgang, der zur Unabhängigkeit der Ukraine führte, findet jetzt auch auf die Teilrepubliken bzw. Teilgebiete der Ukraine Anwendung. Ein Problem in Bezug auf das internationale Recht ist hier aber nicht gegeben. Auch gibt es immer wieder Meldungen daß die Bevölkerung im Zuge der derzeit laufenden Militäroperationen auf die Ankunft der Truppen der russischen Föderation geradezu wartet. Die Präferenz hinsichtlich der staatlichen Zugehörigkeit ist somit eindeutig. Ganz allgemein ist es schlicht abzulehnen, daß die vor Ort lebenden Menschen Spielball oder Gegenstand geopolitischer Vorgänge sind oder werden. Dem Menschen selbst muß eine völkerrechtliche Bedeutung zuerkannt werden und diese muß auch im Rahmen des Völkerrechts verankert werden.
- der sicherheitspolitische Aspekt: gesichert ist, daß der ukrainische Staat kein selbständig agierendes Völkerrechtssubjekt ist. Allein die Zusammensetzung der ukrainischen Armee, die dort kämpfenden Truppen, das Söldner(un)wesen, die vom Westen gelieferte militärische Ausrüstung, der wirtschaftliche und finanzielle Einfluß von Drittstaaten bewirkt, daß seitens der russischen Föderation zurecht erhebliches Misstrauen diesbezüglich besteht, welches rational kaum ausgeräumt werden kann. Daß der russische Staat gleichsam vor seiner Haustüre solche Zustände niemals akzeptieren wird, bedarf keiner tiefergehenderen Betrachtungen und Analysen. Auch die Verwendung von historisch belasteten Symbolen, welche in der Ukraine immer wieder zu beobachten sind, tragen nicht zu einem vertrauenerweckenden Verhältnis zur russischen Föderation bei, vor allem wenn man bedenkt, welche horrenden Verluste an Menschen die damalige Sowjetunion im 2. Weltkrieg zu verzeichnen hatte. Daß dies noch nie im sogenannten Westen in irgendeiner Weise auf politischer oder medialer Ebene thematisiert wurde, läßt vermuten, daß man sich der Geschichte und deren Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft nicht bewußt ist.
- der ethnische Aspekt: es läßt sich leider nicht leugnen, daß eine gewisse russlandfeindliche Einstellung in Westeuropa Einzug gehalten hat. Die fortlaufende Diskriminierung der russischen Sprache ist hier als wesentliches Beispiel zu nennen. Das Verbieten der russischen Sprache in der Ukraine, die offene Diskriminierung von Menschen, welche russisch in der Öffentlichkeit sprechen ist mit einer aufgeklärten Lebensweise und Rechtsstaatlichkeit nicht zu vereinbaren. Daß diese Diskriminierung auch in Lettland, also einem EU-Land (!) zu finden ist, sei hier nur am Rande erwähnt.
- der internationale Aspekt: dieser Gesichtspunkt wird gekennzeichnet durch einen immer größer werdenden Bedeutungs- und Machtverlust des sogenannten Westens, einschließlich der USA. Es ist zu beobachten, daß bei internationalen Konferenzen und Organisationen die westliche Sicht des internationalen Geschehens fortlaufend in den Hintergrund rückt. Großmächte wie Indien und China in Verbindung mit der russischen Föderation, sind immer mehr in der Lage, in den von ihnen gestalteten und geführten internationalen Organisationen (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), BRICS-Staaten) die globalen Belange zu beeinflussen und zu gestalten. Organisationen wie G7 und G20 verlieren immer mehr an Bedeutung. Selbst Weißrussland beabsichtigt bereits, der SOZ beizutreten. Damit einher geht auch der Bedeutungsverlust des US-Dollars. China, Indien und Russland entwickeln vermehrt eigene Finanzplattformen und Zahlungsmechanismen. Auch der Ukrainekonflikt wird von diesen Nationen anders, aber jedenfalls differenzierter gesehen. Dies bezieht sich auch auf die völkerrechtliche Sicht dieser Auseinandersetzung. Man ist jedenfalls nicht mehr bereit, die Dominanz des Westens weiter in dieser Form hinzunehmen. Selbiges gilt auch in Bezug auf die militärische Vorherrschaft der NATO unter Führung der USA.
- der soziale Aspekt: in einer Reihe von westeuropäischen Ländern sehen wir in Anbetracht des Ukrainekonflikts massive soziale Unruhen und Proteste. Man sieht sie in Griechenland, vor allem in Frankreich, Italien, England, Deutschland usw. Zwar sind diese Proteste sicher nicht monokausal, aber richten sich in ihrer wesentlichen Ausrichtung auch gegen den Ukrainekonflikt und die vom Westen durchgeführten Waffenlieferungen in die Ukraine, welche den Konflikt weiter befeuern. In Russland sind eigenartigerweise solche Proteste bzw. Unruhen nicht zu sehen. Zwar gibt es natürlich kritische Stimmen – dies ist bei einem militärischen Konflikt auch zu erwarten – aber Proteste, die in Unruhen ausarten wie in Frankreich, gibt es nicht. Dieser Unterschied läßt tief blicken und zeigt die unterschiedliche Einstellung der jeweiligen Bevölkerung zu diesem Konflikt eindeutig auf. Ein Grund könnte darin liegen, daß in Russland die Menschen in der Ukraine als Landsleute angesehen werden. Berichtet wird auch, daß die Menschen in der Ukraine dezidiert auf die Ankunft der russischen Truppen warten. Eine Tatsache, die Wert ist erwähnt zu werden und die bezeichnend ist. Bei den Menschen im Westen ist jedenfalls nicht davon auszugehen, daß Ukrainer als Landsleute gesehen werden. Im sogenannten Westen spürt man jedenfalls, daß hier einiges im Argen liegt. Bemerkenswert dabei ist auch, daß die Berichterstattung westlicher Medien über diese Unruhen sehr dürftig ausfällt. Offenbar sind diese Proteste der jeweiligen politischen Führung ein Dorn im Auge und man wird an die Zustände in „Coronazeiten“ erinnert. Eine politische Kontrolle der Medien muß auch in Erwägung gezogen werden. Daß in Russland die Regale in den Lebensmittelgeschäften voll sind, aber in den britischen Geschäften dies nicht der Fall ist, sei hier nur am Rand erwähnt.
Das Aufzeigen all dieser Aspekte und zu berücksichtigenden Gesichtspunkte soll beitragen, diesen militärischen Konflikt in Europa zu verstehen und zu einem ehebaldigen friedlichen Ende zu führen. Ohne Respekt des Willens der ansässigen Bevölkerung wird es jedenfalls nicht gelingen, in diesem Gebiet einen friedlichen Zustand herzustellen. Geopolitische Machenschaften dürfen dabei auf keinen Fall eine Rolle spielen.
Gössendorf, am 09.03.2023
RA Dr. Roman Schiessler