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Zur Vererblichkeit von Schadenersatzansprüchen aus Sexualdelikten begangen an Minderjährigen
Es wird dieser Tage vorgeschlagen, gleichsam einen eigenen Schadenersatzanspruch einzuführen bzw. einen solchen mit erweiterter Verjährungsfrist, wenn Minderjährige von Sexualdelikten betroffen sind. Die Vererblichkeit dieses Anspruches soll dabei aber ausgeschlossen werden.
Das Kalkül ist klar. Organisationen, welche Straftäter dieser Art schützen, z.B. die katholische Kirche, sollen die Möglichkeit erhalten auf Zeit zu spielen um sich auf diese Art doch noch der Verantwortung entziehen zu können.
Bei Betrachtung der bereits gegebenen Rechtsordnung ist dies kaum verständlich und stimmt ein solches Vorgehen mit den allgemeinen Wertungen der Rechtsordnung und somit der Gesellschaft nicht im Geringsten überein.
Grundlegend ist die Bestimmung des § 531 ABGB: (Zitat)
„§ 531 ABGB Verlassenschaft
Die Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen bilden, soweit sie nicht höchstpersönlicher Art sind, dessen Verlassenschaft.“
Die Verlassenschaft wird somit vom ABGB, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, somit als Gesamtheit der Vermögenssituation des Verstorbenn konstruiert, dies ohne Ausnahme; außer Acht bleiben nur solche Verbindlichkeiten und Rechte, welcher höchstpersönlicher Art sind. Einen Ehepartner kann man somit beispielsweise nicht vererben.
Warum von dieser grundlegenden Bestimmung nun bei Schadenersatzansprüchen ausgerechten bei solchen, welche aus Sexualdelikten gegenüber Minderjährigen resultieren, eine Ausnahme gemacht werden soll, ist völlig unerfindlich.
Auch ein Blick in die übrige Rechtsordnung bringt weitere Wertungswiderspruche zu Tage.
Zitat:
„§ 77 UrhG Briefschutz
(1) Briefe, Tagebücher und ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen dürfen weder öffentlich vorgelesen noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Verfassers oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden.
(2) Nahe Angehörige im Sinn des Abs. 1 sind die Verwandten in auf- und absteigender Linie sowie der überlebende Ehegatte oder Lebensgefährte. Die mit dem Verfasser im ersten Grade Verwandten und der überlebende Ehegatte oder Lebensgefährte genießen diesen Schutz Zeit ihres Lebens, andere Angehörige nur, wenn seit dem Ablauf des Todesjahres des Verfassers zehn Jahre noch nicht verstrichen sind.
(3) Briefe dürfen auch dann nicht auf die im Absatz 1 bezeichnete Art verbreitet werden, wenn hiedurch berechtigte Interessen dessen, an den der Brief gerichtet ist, oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden. Absatz 2 gilt entsprechend.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Rücksicht darauf, ob die im Absatz 1 bezeichneten Schriften den urheberrechtlichen Schutz dieses Gesetzes genießen oder nicht. Die Anwendung urheberrechtlicher Bestimmungen auf solche Schriften bleibt unberührt.
(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Schriften, die, wenngleich nicht ausschließlich, zum amtlichen Gebrauch verfaßt worden sind.
(6) Die Vorschriften des § 41 gelten entsprechend.
§ 78 UrhG Bildnisschutz
(1) Bildnisse von Personen dürfen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden.
(2) Die Vorschriften der §§ 41 und 77, Absatz 2 und 4, gelten entsprechend.“
Auch beim Brief- und Bildnisschutz des Urheberrechtes, man kann hier von höchstpersönlichen Rechten im Sinne des § 531 ABGB sprechen, wurde eine Vererblichkeit des Anspruches, jedenfalls im Kreis der Familie, festgelegt.
Der oberste Gerichtshof nimmt dazu Stellung wie folgt: (Zitate 4 Ob 203/13a)
„1.5. Auf dieser Grundlage ist nach Ansicht des Senats für die §§ 77 und 78 UrhG daran festzuhalten, dass
- das Gesetz nach dem Tod des Betroffenen einen Anspruch der nahen Angehörigen vorsieht,
- es dabei schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen auf deren Interessen ankommt,
- diese Interessen aber im Regelfall schon dann beeinträchtigt sein werden, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre.
Eine besondere Begründung für eine eigene Interessenbeeinträchtigung der Angehörigen ist daher nicht erforderlich. Diese Auslegung ergibt sich nicht nur aus den Gesetzesmaterialien, die einen solchen typischen Interessengleichlauf annehmen, sondern stimmt im Ergebnis auch mit jenen Wertungen überein, die dem postmortalen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde liegen: Zweck des Rechts der Angehörigen ist zumindest auch die Wahrung der Interessen des Verstorbenen. Ob das Recht tatsächlich auf die Wahrung dieser Interessen beschränkt ist (F. Bydlinski aaO) oder ob es nicht unter Umständen auch eigene Interessen der Angehörigen geben kann, die unabhängig von jenen des Verstorbenen einen Anspruch begründen können, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Diese Frage könnte sich insbesondere dann stellen, wenn der Verstorbene der Veröffentlichung zugestimmt hatte (vgl Thiele in Ciresa, UrhG § 77 Rz 66, der eine solche Zustimmung für irrelevant hält) oder wenn er sie aus anderen Gründen hinnehmen musste (vgl 3 Ob 17/55 = SZ 28/77, wonach ein Anspruch der Angehörigen in einem solchen Fall trotzdem möglich scheint).“
Der oberste Gerichtshof spricht von einem allgemeinen, postmortalen Schutz des Persönlichkeitsrechts durch die Angehörigen zur Wahrung der Interessen des Verstorbenen. Dies soll bei Sexualdelikten, begangen an Minderjährigen schadenersatzrechtlich nun nicht der Fall sein.
Da von einer Einwilligung des durch eine solche Straftat Verletzten nicht auszugehen ist - sie wäre gemäß § 90 StGB auch unzulässig - hätten wird dann zwar die Möglichkeit im Rahmen des Brief- und Bildnisschutzes des Urheberrechts die Rechte des Verstobenen wahrzunehmen, es bestünde aber keine Möglichkeit, eine Verletzung der Intimsphäre von Minderjährigen postmortal zivilrechtlich geltend zu machen, da offenbar andere Interessen, jedenfalls bei bestimmten, politisch einflußreichen klerikalen Organisationen, überwiegen.
Der Wertungswiderspruch ist klar auf der Hand liegend und eigentlich niemandem vermittelbar und rechtspolitisch nicht darzustellen. Allein aber die Diskussion beweist eindeutig, welche politischen Kräfte in dieser Gesellschaft bestimmend sind und warum es den systematischen Mißbrauch von Minderjährigen durch die katholische Kirche überhaupt gibt. Bereits aufgrund der gegebenen Rechtslage ergibt sich eine Reihe von Wertungswidersprüchen, welche einen solchen Ausschluß der Vererblichkeit dieser Ansprüche unerklärlich machen.
Auch wird übersehen, welcher Schaden in der Familie des jeweiligen Mißbrauchsgeschädigten, somit im unmittelbaren sozialen Umfeld desselben und des in der Folge Verstorbenen angerichtet wird; dies unabhängig von dem Schaden, welchen der Mißbrauchte selbst erlitten hat. Vergessen wir dabei auch völlig, daß Selbstmorde aufgrund von solchen Übergriffen nicht selten sind und schon deshalb ein solcher Ausschluß der Vererblichkeit eines solchen Anspruches als inakzeptabel zu bezeichnen ist, da der Schädiger sich dadurch gleichsam selbst – es ist eine Folge seiner Straftat - entschuldet und dies, ausgehende von der aktuellen Rechtsprechung, in einem nicht unerheblichen Ausmaß. (vgl. Der Verdienstentgang nach ABGB unter Berücksichtigung der Judikatur des OGH) Man braucht den Mißbrauchsgeschädigten daher nur in den Selbstmord zu treiben und schon ist man, völlig legal, sein finanzielles Problem los.
Dieses legistische Ansinnen ist somit als äußerst gefährlich einzustufen, vor allem bei diesem hier gegebenen klerikalen Zusammenhang und bei Sexualverbrechen begangen an Minderjährigen, einem Bereich der Delinquenz, in welcher die kriminelle Energie als besonders hoch einzustufen ist.
Schon aus diesen Gründen ist es daher jedenfalls erforderlich, einen solchen Anspruch vererblich auszugestellten, da jeder einzelne Familienangehörige ein schützenswertes, familienrechtlich darstellbareres Interesse hat, einen solchen Anspruch weiterzuverfolgen. Man denke nur daran, daß Mißbrauchsgeschädigte oft auch für die Familie, wenn auch ungewollt, eine Belastung darstellen, die Ehen, somit die Familien oft zerbrechen und dadurch eigentlich noch ein weiterer, weit größerer Schaden entsteht.
Auch öffentlich-rechtlich ist ein Interesse an der Vererblichkeit solcher Ansprüche aufgrund der oben dargestellten Problematik im Zusammenhang mit den hier vorkommenden Selbstmorden gegeben, wobei auch ganz allgemein schlichtweg vorsätzliche Tötungsdelikte nicht ausgeschlossen werden können um den wirtschaftlichen Belastungen zu entgehen. Der Anreiz für solche Straftaten ist bei Anwendung der gängigen Rechtsprechung, wie dargestellt, groß genug. Menschen wurden schon wegen weit geringerer Vorteile getötet bzw. ermordet. Ein gewisser einladender Charakter hierzu, kann einer solchen Regelung nicht abgesprochen werden.
Dazu muß man wissen, daß die katholische Kirche bereits jetzt diese Praxis lebt und im Falle des Todes eines Mißbrauchsgeschädigten keine Zahlungen mehr im Rahmen der Klasnic-Kommission leistet. Die Vorteile einer solchen Regelung hat man offensichtlich schon erkannt und wendet sie auch konsequent an. Geltendes Recht spielt da, wie üblich, schon jetzt keiner Rolle mehr. (vgl. oben §531 ABGB)
Wie man hier daher im Ergebnis, familienpolitisch und auch öffentlich-rechtlich, von einer nicht gegebenen Vererblichkeit solcher Ansprüche ausgehen kann, mag erklären wer will. Verständlich ist es nicht. Zum Schutz der Familie als Institution der Gesellschaft muß man solche Sonderregelungen strikt ablehnen; dies zumal man für eine solche eine spezifische Begründung braucht, welche sich in keiner Hinsicht sachlich, somit auch gleichheitsrechtlich, darstellen läßt
Insgesamt ist der Gedanke, solche Ansprüche nicht vererblich auszugestalten völlig abwegig und zeigt nur, daß sich diejenigen, welche diese Diskussion führen und solche Argumente bringen, sich mit den Folgen solcher Straftaten – gesellschaftlich, strafrechtlich, familiär und persönlich - nicht im Geringsten auseinandersetzen und offenbar dies auch ganz bewußt nicht tun.
Wien, am 31.12.2019
RA Dr. Roman Schiessler