Blog 0005 - Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen - RA Dr. Roman Schiessler

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Blog 0005 - Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen

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Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen

Diese Bestimmung der Charta der Vereinten Nationen lautet wie folgt:

„Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.“
 
Die Bestimmung klingt einleuchtend und bedarf an sich keiner weiteren Erklärungen. Sie entspricht auf völkerrechtlicher Ebene beispielweise der Bestimmung des 3 § StGB (Notwehr).
 
Es ist die Rede von einem naturgegeben Recht auf Selbstverteidigung. Eine zeitliche Einschränkung findet nur insoweit statt, als auf die Kompetenzen des Sicherheitsrates verwiesen wird, welcher in der Folge geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens zu treffen hat. Inhaltliche Beschränkungen wie beispielsweise das Unmittelbarkeitskriterium, welches im Rahmen des § 3 StGB eine Rolle spielt, sind der Bestimmung nicht zu entnehmen. Insoweit wären nur Abwehrhandlungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Angriff stehen, gestattet.
 
Das hier festgelegte völkerrechtliche Notwehrrecht ist nur insoweit zeitlich eingeschränkt als der Sicherheitsrat tätig wird. Macht eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats von seinem Vetorecht Gebrauch oder kommt keine Mehrheit für solche Maßnahmen zustande, ist das Notwehrrecht im Sinne des Art 51 der UN-Charta weiter anwendbar.
 
Ein Anwendungsfall für dieser Bestimmung ist der Ukrainekonflikt. Da im Sicherheitsrat weder eine Einigung noch eine Mehrheit für friedenserhaltende- oder stiftende Maßnahmen zustande kommt, entwickelt sich ein militärischer Konflikt an dem neben den Konfliktparteien eine Reihe weiterer Staaten teilnehmen mit dem Argument, dass sie gleichsam das Recht eines der Streitteile - hier der Ukraine - gleichsam mitverteidigen müssen.
 
Dass damit auch geopolitische Ziele und Interessen verfolgt werden und somit der Gedanke der Hilfeleistung in den Hintergrund tritt, ist evident.
 
Die Anwendung dieser Bestimmung setzt natürlich voraus, dass der das Völkerrecht verletzende Aggressor zweifelsfrei ermittelt wurde. Dass dem nicht so ist, wurde bereits dargestellt. (vgl. Blog 0002 - Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht)
 
Dies Bestimmung erlaubt es daher, an einer militärischen Auseinandersetzung teilzunehmen, ohne formal Konfliktpartei zu sein, was eine praktische und auch scheinbar rechtlich fundierte Möglichkeit zur Intervention darstellt. Auch ist man scheinbar moralisch immer auf der sicheren Seite, da man ja immer den Angegriffen verteidigt.
 
Auf den ersten Blick erscheint die Charta plausibel und auch gerecht, trägt aber ein enormes Eskalationspotential für jeden militärischen Konflikt in sich, da sie den Staaten ermöglicht, sich gleichsam selbst zum Richter aufzuspielen und unter dem Vorwand zur Hilfe zu eilen und für Gerechtigkeit zu sorgen, eigene Interessen durch ein militärisches Eingreifen zu verfolgen.
 
Etliche NATO-Staaten geben nun auf Basis dieser Bestimmung vor, der Ukraine helfen zu wollen. Geflissentlich vergisst man natürlich zu erwähnen, dass man die NATO-Osterweiterung illegal durchgesetzt hat, Russland im Rahmen der Minsker Übereinkommens, somit des Normandieformats getäuscht hat, und die Ukraine fast zehn Jahre lang aufgerüstet hat um sie für einen Konflikt mit Russland militärisch vorzubereiten. Dass dies nur die wesentlichen Gründe sind, welche gegen die Anwendbarkeit des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen sprechen, sei hier nur am Rande erwähnt.
 
Wer hier der Aggressor ist und wer hier gegen das Gewaltverbot der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 2 Abs. 4 der Satzung der VN verstößt, ist mehr als fraglich. Die Reaktion der übrigen Welt bestätigt dies auch eindrucksvoll.
 
Somit taugt der Art. 51 der Satzung der VN nicht als Grundlage für ein militärisches Einschreiten ohne Konfliktpartei zu werden, weil er zur Voraussetzung hat, dass der Verstoß gegen das Gewaltverbot der Vereinten Nationen eindeutig feststeht. Dass dies im Ukrainekonflikt nicht der Falls ist, ist eindeutig. Vielmehr scheint etliches dafür zu sprechen, dass die eigentliche Aggression die illegale NATO-Osterweiterung ist.
 
Aufgrund der derzeit bestehenden Konstellation, wie sie sich in der Ukraine derzeit darstellt, gibt es für einen neutralen Staat daher keinen Grund und keine Berechtigung aufgrund dieser Bestimmung der UN-Charta auf einer Seite des Konflikts einzugreifen. (vgl. Blog 0004 - Der Ukrainekonflikt und die österreichische Neutralität)
 
Für Österreich bedeutet dies, daß das derzeitige Agieren der Bundesregierung in diesem Konflikt als äußerst fragwürdig anzusehen ist. Letzten Endes ergreift man Partei und gibt seinen neutralen Status auf. Ob dies im Interesse Österreichs ist, darf mit Recht bezweifelt werden.
 
Wien, am 01.05.2023
RA Dr. Roman Schiessler
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